In Deutschland hat jeder dritte Erwachsene mindestens einmal Cannabis geraucht

2021/07/02

In Deutschland hat jeder dritte Erwachsene mindestens einmal Cannabis geraucht

Angesichts der bevorstehenden Wendepunktwahlen in Deutschland sprechen einige Politiker über einen neuen Ansatz zur Drogenkontrolle.

Die oppositionellen Freien Demokraten (FDP), für die bürgerliche Freiheiten ein großes Anliegen sind, haben den begrenzten und legalen Verkauf von „Cannabis für den Freizeitkonsum“ an Erwachsene gefordert. Angesichts des weltweit wachsenden Absatzes von Cannabis für medizinische Zwecke und den privaten Genuss will die wirtschaftsfreundliche FDP „Cannabis Made in Germany“ sogar zu einem lukrativen Exportprodukt machen.


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In Deutschland hat jeder dritte Erwachsene mindestens einmal Cannabis geraucht

Angesichts der bevorstehenden Wendepunktwahlen in Deutschland sprechen einige Politiker über einen neuen Ansatz zur Drogenkontrolle.

Die oppositionellen Freien Demokraten (FDP), denen Bürgerrechte ein großes Anliegen sind, haben den begrenzten und legalen Verkauf von "Cannabis für den Freizeitkonsum" an Erwachsene gefordert. Angesichts des weltweit wachsenden Absatzes von Cannabis für medizinische Zwecke und den privaten Genuss strebt die wirtschaftsfreundliche FDP sogar an, „Cannabis Made in Germany“ zu einem lukrativen Exportprodukt zu machen.

Der Wettlauf um die Legalisierung von Marihuana

In der Debatte um illegale Drogen – und vor allem Cannabis – geht es richtig los. Ein halbes Jahrhundert restriktiver Drogenpolitik in ganz Europa hat nicht dazu beigetragen, die Nachfrage erheblich zu dämpfen oder das Angebot einzuschränken. Selbst die Coronavirus-Pandemie hat dem florierenden Schwarzmarkt keine wirklichen Auswirkungen gehabt.

Trotz Lockdowns und Grenzkontrollen „war der europäische Drogenmarkt Anfang 2020 durch die weit verbreitete Verfügbarkeit einer vielfältigen Palette von Drogen mit immer höherer Reinheit oder Wirksamkeit gekennzeichnet“, heißt es in einem Mitte Juni veröffentlichten Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD).

Cannabis: Droge der Wahl

Der Umsatz mit illegalen Drogen in Europa soll sich inzwischen auf rund 30 Milliarden Euro (15,5 Milliarden US-Dollar) belaufen. Und wie in anderen Ländern der Welt ist Cannabis auch in Europa die mit Abstand beliebteste verbotene Droge. Trotz aller Verbote und Razzien deuten EBDD-Zahlen darauf hin, dass fast 30 % aller erwachsenen Europäer mindestens einmal in ihrem Leben versuchen werden, Cannabis als Joint oder mit einer Pfeife zu rauchen. Auch in Deutschland hat jeder dritte Erwachsene mindestens einmal in seinem Leben Cannabis geraucht, was auf eine hohe Akzeptanz der Droge in vielen Bereichen der Gesellschaft hinweist.

Dies erklärt, warum eine wachsende Zahl von Rechtsanwälten und Staatsanwälten, Kriminologen, Polizisten und Sozialarbeitern die Gründe hinter der Verbotspolitik in Frage stellen. Auch die Politik beginnt sich zu fragen, ob Polizei und Staatsanwaltschaft die richtigen Instrumente sind, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Die Diskussion wurde von einem zentralen Trend angeheizt: In mehr als einem Viertel aller US-Bundesstaaten dürfen Erwachsene jetzt Mengen ihres Lieblingsnarkotikums kaufen – legal.

Vier der derzeit sechs im Bundestag vertretenen Parteien setzen sich für ein Ende der Verbotspolitik ein.

Wie gefährlich ist Cannabis?

Die richtige Strategie finden

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Parteien. Aber die Grünen und die FDP, die Linkspartei und die SPD sind sich einig, dass die gegenwärtigen Drogenstrategien, die auf Verboten basieren, gescheitert sind. Sie alle fordern neue Ansätze, um einen Weg zwischen Strategien wie Legalisierung, Entkriminalisierung und Regulierung zu ebnen.

Wieland Schönenburg, drogen- und suchtpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagt der DW, dass es in Deutschland schätzungsweise 4 Millionen regelmäßige Cannabiskonsumenten gibt. Und ihr Schicksal wird den rücksichtslosen Kräften des Schwarzmarktes überlassen, wo es keine Qualitätsstandards gibt.

Außerdem entgehen dem Staat erhebliche Einnahmen, sagt Schönnenburg. „Wenn der Markt behördlich genehmigt würde, würde der Staat natürlich Steuereinnahmen einnehmen, die wiederum für Prävention und Therapie ausgegeben werden könnten.“

Also, über wie viel Geld reden wir hier? Genau das wollte Justus Haucap, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Düsseldorf, 2018 herausfinden.

Er errechnete eine Summe, die bei Polizei- und Justizdiensten plus Steuereinnahmen eingespart werden könne, auf rund 2,6 Milliarden Euro.

Die Grünen sind bisher die einzige Partei, die umfassende Gesetzentwürfe vorgelegt hat, um das Problem anzugehen. Ihre „Cannabis Control Bill“ basiert hauptsächlich auf der kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene an ausgewiesenen Verkaufsstellen. Die Idee ist, den Schwarzmarkt auszutrocknen, Jugendliche besser zu schützen, die Polizei und das Justizsystem zu entlasten und Steuereinnahmen zu erzielen, die für Prävention und Behandlung verwendet werden könnten. Doch im vergangenen Oktober lehnte der Bundestag den Gesetzentwurf ab.

Kriminelle Verbraucher

Heino Stöver spricht von neuen Initiativen in der Drogenbekämpfungspolitik "lange überfällig." Der Frankfurter Sozialwissenschaftler ist den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Bundestages ein vertrautes Gesicht, wo er regelmäßig Gutachten und Zeugenaussagen abgibt.

Im Gespräch mit der DW wies Stöver auf die hohe Zahl von Strafsachen in den Polizeiakten hin. "Wir haben mit über 358.000 sogenannten Betäubungsmitteldelikten ein Allzeithoch verzeichnet." Fast vier Fünftel dieser Gesamtmenge, fuhr er fort, betrafen den tatsächlichen Verbrauch. Mit anderen Worten: Ein Konsument wurde im Besitz von nur wenigen Gramm Marihuana erwischt und mit seiner täglichen Aufnahme heroinabhängig. Was passiert ist: Harmlose Konsumenten werden kriminalisiert – oft mit verheerenden Folgen für ihren Arbeitsplatz, einen Ausbildungsplatz oder im Freundes- und Verwandtenkreis.

Cannabisanbau unter polizeilicher Überwachung

Polizei und Strafjustiz werden unter einer Lawine von letztlich Bagatellfällen begraben.

Nicht zu vergessen die Gefahren des Schwarzmarktes und die unkontrollierten Produkte, die dort verkauft werden. Der Europäische Drogenbericht enthält viele Beispiele für die daraus resultierenden Schrecken: Gangster zum Beispiel, die minderwertiges Marihuana mit tödlichen synthetischen Cannabinoiden mischten und im Sommer 2020 in Ungarn über 20 Menschen starben.

Heino Stöver tut jede Aussicht auf eine drogenfreie, abstinente Gesellschaft als bloße Fiktion ab: „Und die Mehrheit der Menschen in der Gesellschaft teilt diese Vision gar nicht“, sagt Stöver und verweist auf das Lustprinzip, das im Mittelpunkt steht Drogenkonsum. Es gibt, fügt er hinzu, nur sehr wenige Gesellschaften in der Menschheitsgeschichte, die nicht tatsächlich zu Drogen gegriffen haben.

Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat sich erst kürzlich gegen eine Initiative zur Legalisierung von Cannabis ausgesprochen – mit dem Hinweis auf die primäre Schutzpflicht für Kinder.

Aber Ludwig, ein Konservativer von der bayerischen CSU, "räumte ein, dass es kontraproduktiv ist, die volle Härte des Gesetzes gegen jemanden einzusetzen, der zum ersten Mal im Besitz von Cannabis erwischt wird." Sie verwies auf Portugals Politik der

„Entkriminalisierung, also weg von der Anwendung des Strafrechts und hin zum Verständnis von Bagatelldelikten. Gepaart mit verbindlichen Beratungsangeboten eine echte Alternative.“

Doch Deutschlands Konservative sind sich bei einer solchen Strategie keineswegs einig. In ihrem 140-seitigen Manifest für die anstehende Wahl kommt das Wort Cannabis nicht ein einziges Mal vor.

Doch wenn sich der Staub bei der Herbstwahl endgültig gelegt hat und die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierungskoalition beginnen, werden die vielen drängenden Fragen der Drogenpolitik nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden können.


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